Zikaden auf dem Vormarsch?
Veröffentlicht: Dienstag, 21.10.2025 15:57
Die Landwirte bei uns im Kreis Düren müssen sich auf ein neues Problem einstellen. Schilf-Glasflügelzikaden könnten sich auch bei uns ausbreiten.

Die kleinen Tiere können im schlimmsten Fall für große Ernteausfälle sorgen, heißt es von der Landwirtschaftskammer. Im Süden von Deutschland ist die Schilf-Glasflügelzikade bereits angekommen – im Kreis Düren sind die Landwirte bis jetzt verschont worden. Die Zikade ernährt sich u.a. von Kartoffeln und Zuckerrüben. In diesem Jahr hatte ein Monitoring des Zuckerherstellers Pfeifer & Langen und der Landwirtschaftskammer an den Grenzstandorten zu den Nachbarbundesländern die Zikaden in kleinem Umfang nachgewiesen.
Die wichtigsten Fakten
Radio Rur hat bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen nachgefragt. Sie antwortet auf die wichtigsten Fragen rund um die Zikaden.
Wie ist die aktuelle Lage für NRW einzuschätzen?
Der Pflanzenschutzdienst und die Offizialberatung der Landwirtschaftskammer NRW haben gemeinsam mit der Zuckerindustrie (Pfeifer & Langen) sowie dem Rheinischen Rübenbauer-Verband ein flächendeckendes Zikaden-Monitoring im Jahr 2024 in Nordrhein-Westfalen gestartet. Hierbei wurden mithilfe von Leimtafeln Zuckerrüben-, Kartoffel- und Gemüsefelder auf das Auftreten von Zikaden überwacht. Das Monitoring hat gezeigt, dass Zikaden (u. a. Schilf-Glasflügelzikaden), die als Überträger für SBR und Stolbur fungieren, auch in NRW vorkommen. Die gefangenen Zikaden wurden im Diagnoselabor des Pflanzenschutzdienstes auf eine Beladung mit den beiden Erregerkomplexen (ARSEPH & PHYPHSO) untersucht. Diese Analysen, flankiert durch erste Beprobungen von Zuckerrüben und Kartoffeln, haben ergeben, dass die Erreger auch in NRW vorkommen. Im Vergleich zu vielen anderen Bundesländern (v. a. Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen) ist der Befall in NRW derzeit noch auf einem deutlich niedrigen Niveau einzustufen. Im Jahr 2025 wurden hauptsächlich im südlichen Rheinland bzw. an der Grenze zu Rheinland-Pfalz erste Zikaden gefangen.
Rollt das Problem auch auf NRW zu?
Beobachtet man das Infektionsgeschehen in den südlichen Bundesländern der Bundesrepublik ist davon auszugehen, dass es auch in NRW zu einer zunehmenden Verbreitung der Zikaden und damit der beiden bakteriellen Krankheiten kommen wird. Die Zikaden haben ein weites Wirtspflanzenspektrum, sodass die Erreger auch an andere Kulturpflanzen wie z. B. Erdbeeren, Weinreben, Möhren, Zwiebeln, Rote Bete oder Rhabarber übertragen werden können. Dies ist durchaus auch von Relevanz für NRW als großen Gemüseproduzent.
Wie bedrohlich ist die Lage für die Betriebe in NRW?
Das lässt sich gegenwärtig nicht abschätzen. Unter ungünstigen Bedingungen ist aus Süddeutschland bekannt, dass vor allem in Vergesellschaftung mit anderen Krankheiten und Schädlingen mit erheblichen Kalamitäten bis hin zum Totalausfall zu rechnen ist.
Was kann man gegen die Schilf-Glasflügelzikade unternehmen?
Derzeit gibt es noch keine direkten Bekämpfungsmöglichkeiten. Erste Untersuchungen zeigen, dass unterschiedliche Zuckerrübensorten eine gewissen Toleranz gegenüber den Erregern aufweisen und mit einem verringerten Abfall des Zuckergehaltes reagieren. Chemische oder biologische Pflanzenschutzmittel stehen derzeit noch nicht regulär zur Verfügung, zumal die Zikaden sehr mobil sind und sich daher nur schwer bekämpfen lassen. Im Jahr 2025 hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erstmals verschiedene Notfallzulassungen für herkömmliche Insektizide zur Bekämpfung der Zikaden in verschiedenen Kulturen erteilt. In NRW wurde aufgrund der verhältnismäßig geringen Fangzahlen allerdings noch nicht darauf zurückgegriffen. Ein Warndienstaufruf, der für den Einsatz dieser Produkte erforderlich ist, wurde durch den Pflanzenschutzdienst der Landwirtschaftskammer NRW im Jahr 2025 nicht erteilt. Förderlich ist in jedem Fall der Anbau von Pflanzen, bei denen es zu einem geringeren Ausschlupf der Zikaden kommt. Hierzu zählen z. B. Mais, abessinischer Senf oder Sojabohnen. Auch eine intensive Bodenbearbeitung bzw. Schwarzbrache haben ersten Untersuchungen nach eine reduzierende Wirkung auf den Ausschlupf der Zikaden zur Folge.
Ist die Ausbreitung eine Folge des Klimawandels?
Zikaden sind zwar eher aus dem südeuropäischen Raum bekannt, zählen aber auch schon lange zu den heimischen Arten in Deutschland. Die Schilf-Glasflügelzikade, die neben der Winden-Glasflügelzikade zu den Hauptvektoren, d. h. Hauptüberträgern für SBR und Stolbur zählt, profitiert allerdings sehr wohl vom Klimawandel und den steigenden Temperaturen in Deutschland. Unabhängig von den Auswirkungen des Klimawandels ist allerdings auch davon auszugehen, dass vor allem veränderte Pflanzenschutzstrategien (z. B. Wegfall von Beizen mit den Wirkstoffen der Neonicotinoide) in der Landwirtschaft und im Gartenbau zu einem verstärkten Auftreten von Schadinsekten führen. Aus dem Gartenbau ist bereits bekannt, dass Wanzen und Zikaden sich bei reduziertem Pflanzenschutzmitteleinsatz bzw. einem veränderten Wirkstoffspektrum plötzlich als „neue“ Schaderreger hervortun. Der zunehmende Wegfall von breitwirksamen Insektiziden, die häufig auch eine Nebenwirkung auf z. B. Zikaden hatten, kann somit auch zum Auftreten von neuen Schaderregern führen, die bislang keine Rolle in unseren Breitengraden gespielt haben.